Argumente gegen die Behauptung, PA sei keine Form der Gewalt in der
Familie
Autor: Edward Kruk Ph.D.*
Die Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation, PA) ist eine Form von familiärer Gewalt, die sich gegen sonst gesunde Eltern-Kind-Beziehungen richtet.
Der wissenschaftliche Status von PA ist durch umfangreiche Forschungsarbeiten belegt worden.
Falsche Behauptungen gegen die Existenz von PA können durch vorhandene wissenschaftliche Beweise widerlegt werden.
Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation, PA) ist eine komplexe Form von familiärer Gewalt, die sich gegen einen Elternteil richtet, indem sie dessen Beziehung zu dem Kind angreift. Zwei wesentliche Merkmale von PA sind die unbegründete Ablehnung des ausgegrenzten Elternteils und Kontaktverweigerung mit ihm durch das Kind, sowie die missbräuchlichen Strategien, die der entfremdende Elternteil anwendet, um den ausgegrenzten Elternteil zu verunglimpfen.
Bei PA handelt es sich um eine Beziehungsstörung, für deren Vorliegen fünf Kriterien erfüllt sein müssen: Das Kind lehnt den Kontakt zum Elternteil ab bzw. verweigert ihn; das Kind
hatte in der Vergangenheit eine gute Beziehung zu dem Elternteil; der Elternteil ist nicht gewalttätig gegenüber dem Kind gewesen und hat es weder missbraucht noch grob vernachlässigt; der bevorzugte Elternteil nutzt verschiedene Entfremdungsstrategien und -methoden; und das Kind weist Anzeichen einer psychischen Störung oder Verhaltensauffälligkeiten auf, die darauf hinweisen können, dass es entfremdungsgefährdet ist (Bernet et al., 2022).
PA hat gravierende negative Folgen sowohl für das Kind als auch für den ausgegrenzten Elternteil und ist weit häufiger als allgemein angenommen.
Der wissenschaftliche Status der Eltern-Kind-Entfremdung ist durch umfangreiche Forschungsarbeiten belegt worden (Harman et al., 2022), und DSM-5-TR, die überarbeitete Fassung des DSM-5, benennt die Kernelemente der Eltern-Kind-Entfremdung als „Eltern-Kind-Beziehungsstörung“ (einschließlich der „als negativ gewerteten Absichten des anderen, Feindseligkeit gegenüber dem anderen sowie unbegründete Gefühle der Entfremdung“).
Nichtsdestotrotz ist PA im Familienrecht, in der Politik und in der Berufspraxis nach wie vor ein kontroverses Thema, obwohl der Widerstand gegen die Anerkennung dieser Form familiärer Gewalt unzureichend begründet wird (Bernet & Xu, 2022).
* Dr. Kruk ist Professor für Sozialarbeit an der Universität von Britisch-Columbia, Kanada. Dieser Artikel wurde überprüft und bestätigt durch „Psychology Today“. Er wurde vom Autor und
Copyright-Inhaber am 30. November 2023 zur Veröffentlichung in deutscher Übersetzung im Zeitschrift für Kindschftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) freigegeben.
Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Guy & Ulla Knight-Jones, E-Mail: info@wordpower.de
Irreführende Aussagen, Falschinformationen, Fehler, Praktiken der Wissenschaftsleugnung sowie falsche Darstellungen von lautstarken Kritikern der Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation; PA) zum aktuellen Stand von veröffentlichten und fachlich begutachteten Forschungsergebnissen, die durch die Rechtssprechung zur Partnerschaftsgewalt und PA unterstützt werden, sind von einer Reihe wissenschaftlicher Verbände dokumentiert worden. Insbesondere wird die Behauptung, Männer als Missbrauchstäter würden falsche Anschuldigungen der Eltern-Kind-Entfremdung zur Ablenkung von ihrer eigenen Täterschaft bei der Partnerschaftsgewalt vorbringen, dazu verwendet, das PA-Konzept zu diskreditieren und Panik zu erzeugen. Dies wird von populären Medien, die auf einem falschen Verständnis des Konzeptes basieren, in Berichten aufgegriffen. Die Argumente gegen das PA-Konzept lassen sich leicht durch die umfangreichen Forschungsergebnisse des letzten Jahrzehnts widerlegen, insbesondere zu den Themen Partnerschaftsgewalt, familiäre Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung. Um die Behauptung zu entkräften, dass es sich bei PA um ein Phantasiegebilde handelt, muss auf folgende Punkte hingewiesen werden:
Es herrscht wissenschaftlicher Konsens, dass PA eine Form von familiärer Gewalt, von Partnerschaftsgewalt und auch von Kindesmissbrauch darstellt. In den mehr als tausend Veröffentlichungen zur Eltern-Kind-Entfremdung, wovon die meisten empirische Studien aus den letzten zehn Jahren sind, wurden die Missbrauchsstrategien von entfremdenden Elternteilen gut dokumentiert, wie auch die außerordentlich schädlichen Folgen einer Entfremdung für Kinder und Eltern. (Harman et al., 2022, 2018).
Familiäre Gewalt, Partnerschaftsgewalt und Eltern-Kind-Entfremdung (PA) sind keine geschlechtsspezifischen Phänomene: sowohl Männer als auch Frauen können dabei Täter*innen oder Opfer sein. Die Behauptung, dass Partnerschaftsgewalt lediglich Frauensache ist, wogegen nur Männer von Eltern-Kind-Entfremdung betroffen sind, lässt sich nicht durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse belegen. Die weit verbreitete Annahme, dass vorwiegend Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt sind und Männer immer die Täter, ist falsch (Harman et al., 2018).
Die meisten Fälle von Partnerschaftsgewalt, familiärer Gewalt und PA sind nicht schwerwiegend; in der schweren Form sind jedoch die Folgen für Eltern und Kinder verheerend. Für betroffene Eltern stellt Eltern-Kind-Entfremdung eine Art komplexes Trauma dar; für Kinder ist es eine schwerwiegende Form von Kindesmissbrauch, der eine erhebliche psychische Störung verursacht, basierend auf dem falschen Glauben, dass der entfremdete Elternteil gefährlich und untauglich ist. Wird die psychische Misshandlung, die entfremdete Kinder und Eltern in schweren PA-Fällen erleiden, nicht anerkannt, dann sind sie gefährdet, ungeschützt und dem Risiko von schwerwiegenden Schäden ausgesetzt (Harman et al., 2018; Kruk, 2018).
Es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass ein substantiierter Missbrauchsvorwurf gegen einen entfremdenden Elternteil nachgewiesen wird als gegen einen entfremdeten Elternteil. Bei Eltern, die nachweislich ihre Kinder entfremdet haben, ist die Wahrscheinlichkeit eines nachgewiesenen Missbrauchsvorwurfs 82 Prozent höher als bei Eltern, die entfremdet worden sind. Bei einem ausgegrenzten Elternteil ist es 86 Prozent wahrscheinlicher, dass gegen ihn falsche oder unbewiesene Missbrauchsvorwürfe erhoben werden, als bei einem entfremdenden Elternteil (Sharples et al., 2023).
Es steht außer Frage, dass in Fällen bewiesener familiärer Gewalt das Sorgerecht gerichtlich festgelegt werden muss. Jedoch ist die Annahme falsch, dass es sich bei Hochkonfliktfällen, in denen sich Eltern nach einer Scheidung nicht auf eine Sorgerechtsregelung für die Kinder einigen können, üblicherweise um schwerwiegende Fälle von Gewalt in der Familie handelt. Damit sind Kinder der Gefahr ausgesetzt, einen Elternteil zu verlieren, wenn das alleinige Sorgerecht oder der Hauptwohnsitz per richterlicher Anordnung festgelegt wird. Zusätzlich besteht in den meisten Sorgerechtsstreitigkeiten, bei denen Gewalt bis dahin keine Rolle spielte, dann ein erhöhtes Risiko von Gewalt in der Familie (Kruk, 2018).
Obwohl familiäre Gewalt bei den meisten konflikthaften Scheidungen keine Rolle spielt, ereignet sich in der Hälfte der Fälle erstmaliger Gewalt in der Familie bei Scheidungen, bei denen durch Gerichtsbeschluss einer Partei alles zugesprochen wird. Dann besteht das Risiko von Eltern-Kind-Entfremdung (PA). Einige Experten sind der Meinung, dass richterliche Anordnungen in Sorgerechtsfällen fast wie geschaffen dafür erscheinen, dass schlechtest mögliche Ergebnis zu erzielen: Die Eltern werden zu erbitterten Gegnern, wenn so viel auf dem Spiel steht und aus Meinungsverschiedenheiten werden dann heftige Konflikte, die bis hin zu Gewaltsituationen eskalieren können (Kruk, 2018).
Regelungen für die gemeinsame elterliche Sorge können zur Prävention von Partnerschaftsgewalt, familiärer Gewalt und von Eltern-Kind-Entfremdung dienen; sie dienen somit dem Schutz der Kinder. Regelungen für die gemeinsame elterliche Sorge führen im Durchschnitt zu wesentlich besseren Ergebnissen für Kinder und Eltern hinsichtlich aller scheidungsspezifischen und allgemeinen Anpassungsmaßnahmen als Regelungen, die ein alleiniges Sorgerecht oder einen Hauptwohnsitz vorsehen (Kruk, 2018).
Vorwürfe von Partnerschaftsgewalt und von familiärer Gewalt sind nicht gleichzusetzen mit tatsächlich nachgewiesenen Fällen von Gewalt in der Familie. Bei Scheidungen, bei
denen durch richterliche Anordnung einem Ehepartner alles zugesprochen wird, sind Falschbeschuldigungen wegen Gewalt in der Familie sehr häufig (Kruk, 2018).
Die zwei wichtigsten Faktoren, die beeinflussen, wie gut einem Kind die Anpassung an die Folgen einer Scheidung gelingt, sind das Aufrechterhalten einer guten Beziehung zu beiden Eltern als Teil einer Regelung für die gemeinsame elterliche Sorge und der Schutz vor familiärer Gewalt. In Fällen von Partnerschaftsgewalt, familiärer Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung (PA) hat die Sicherheit von Kindern und Eltern die oberste Priorität (Kruk,2018; Harman et al., 2018).
Partnerschaftsgewalt, familiäre Gewalt und Eltern-Kind-Entfremdung (PA) sind als strafrechtliche Angelegenheiten zu betrachten und die bestehenden Hürden müssen erkannt, anerkannt und beseitigt werden, damit die Täter*innen zur Rechenschaft gezogen und die Opfer geschützt werden können. Opfer schwerer Gewalt benötigen den vollen Schutz durch die Strafgerichtsbarkeit. Weiterhin müssen die Jugendämter es als Jugendschutzangelegenheit betrachten, wenn Kinder Zeugen von Gewalt in der Familie einschließlich Eltern-Kind-Entfremdung werden und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Schlussendlich spielen die Behandlung von Eltern-Kind-Entfremdung (PA), einschließlich spezieller Interventionen bei Kindern und entfremdeten Eltern sowie Programme zur Zusammenführung von Eltern und Kindern für das Kindes- und Familienwohl während und nach einer Scheidung eine wesentliche Rolle.
Literatur
Bernet, W., Baker, A. J., & Adkins, K. L. (2022). Definitions and terminology regarding child alignments, estrangement, and alienation: A survey of custody evaluators. Journal of forensic sciences.
Bernet, W., & Xu, S. (2022). Scholarly rumors: Citation analysis of vast misinformation regarding parental alienation theory. Behavioral Sciences & the Law.
Harman, J. J., Warshak, R. A., Lorandos, D., & Florian, M. J. (2022). Developmental psychology and the scientific status of parental alienation. Developmental Psychology.
Harman, J. J., Kruk, E., & Hines, D. A. (2018). Parental alienating behaviors: An unacknowledged form of family violence. Psychological Bulletin.
Kruk, E. (2018). Parental alienation as a form of emotional child abuse: Current state of knowledge and future directions for research. Family Science Review.
Sharples, A.E., Harman, J.J. & Lorandos, D. (2023). Findings of abuse in families affecte