ADS / ADHS  

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom / Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom

Ein kritischer Erklärungsversuch:

1993 wurden In Deutschland 38 Kilogramm des Wirkstoffes Methylphenidat verschrieben, 2013 waren es schon 1,8 Tonnen, sprich 1800 Kilogramm. Aktuelle Zahlen habe ich bei meiner Recherche nicht gefunden. Die absolut verschriebene Menge soll aber rückläufig sein. Das Medikament trägt den Handelsnamen Ritalin. Später gab es ein weiteres Medikament mit dem Handelsnamen Medikinet. Beide Medikamente haben denselben Wirkstoff (Methylphenidat), nur die Trägersubstanz ist unterschiedlich – einmal Mais – und einmal Kartoffelstärke.

Mittlerweile ist die verschriebene Menge rückläufig, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass weitere Medikamente auf dem Markt vorgestellt wurden und teilweise durch ihr angenommenes besseres Wirkspektrum die alten Medikamente ersetzen.

Atomoxetin, Handelsname „Strattera“

Elvanse (Lisdexamfetamin)

Risperidon (ein Neuroleptikum für Kinder ab 5 Jahren zugelassen)

Das Phänomen „Zappelphilipp“ ist spätestens durch das Buch „Struwwelpeter“ bekannt, welches 1845 erschienen ist.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Von Heinrich Hoffmann – Heinrich Hoffmann: Der Struwwelpeter; Frankfurt am Main : Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1917 (400. Auflage); Exemplar der Universitätsbibliotek Braunschweig Signatur: 2007-0968, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=466024

Bis heute sind keine Labortestverfahren oder andere spezifische Tests bekannt, mit denen die Diagnose einer ADHS zuverlässig gestellt werden kann. Die Beurteilung der geschilderten Beschwerden erfolgt daher schrittweise auf mehreren Ebenen und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Umgebungssituationen des Kindes. Nicht immer ergibt sich sofort ein eindeutiges Bild, sodass bis zur gesicherten Diagnosestellung Geduld erforderlich sein kann.

Aber wie konnte es zu diesem exponentiellen Anstieg von ADS/ADHS – Diagnosen kommen?

  1. Ein neurobiologischer Ansatz

Der Mensch besitz die Fähigkeit Dinge und Abläufe in seiner Umwelt und teilweise auch in seinem Inneren wahrzunehmen. Dazu benutzt er neben den klassischen Sinnesorganen, sehen, hören, riechen und schmecken weitere Sinne, wie den Tastsinn, die Fähigkeit Druck zu empfinden, heiß und kalt wahrzunehmen, einen Kraftsinn, der dem ZNS Informationen über Muskelspannung, Muskellänge, Gelenkstellung und Bewegung liefert. Somit bekommt das ZNS über die Sensorik bekommt das ZNS eine schier unglaubliche Menge an Informationen gleichzeitig zur Verfügung gestellt. Wir nehmen an, dass diese Menge in der internen Verarbeitung reduziert werden muss, bevor die Motorik entsprechend auf Umweltreize reagieren kann. Das würde bedeuten, der sensorische Input wäre, mal angenommen, 10 hoch X bit, die interne Verarbeitungskapazität 10 hoch X-y und die motorische Antwort 10 hoch X-y-z. Das Ganze würde grafisch dargestellt einem Trichter ähneln.  Die Reduktion des sensorischen Inputs auf eine verarbeitungsfähige Kapazität könnte durch einen Filter vorgenommen werden, der im Normalfall über die Möglichkeit verfügt wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen. So spüren wir die Kleidung, die wir tragen in der Regel nicht mehr auf unserer Haut. Dieser Reiz ist adaptiert und belegt keine Kanalkapazität. Über neuronale Plastizität spreche ich sicher später einmal, aber wichtig wäre zu wissen, wie dieser angenommene neuronale „Filter“ eingestellt wird. Gibt es genetisch bedingte Voreinstellungen, die im Nachgang nur in einem bestimmten Bereich zu verändern sind? Meine persönliche Wahrnehmung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist die, dass ich vor circa 30 Jahren kaum Kinder mit einem hirnorganischen ADHS /ADS angetroffen habe; das hatte schon Seltenheitswert. Bei intakter Sinnlichkeit und „normaler“ Intelligenz waren diese Kinder nicht in der Lage ihre Aufmerksamkeit auch nur kurzfristig zu fokussieren. War bei diesen Kindern/Jugendlichen der „Filter“ defekt? Zum weiteren Verständnis doch ein Exkurs in den Bereich der Plastizität. In Südkorea leiden weltweit die meisten Kinder unter Kurzsichtigkeit. Der Sehapparat stellt sich erst nachgeburtlich auf einen bestimmten Sehbereich ein, in der Regel ein effektiver Bereich zwischen Nah- und Fernsicht. Kinder in Südkorea werden sehr früh mit einem Smartphone und/oder Tablet beglückt, so dass in diesen Fällen der Bereich des scharfen Sehens unwiderruflich auf den Nahbereich eingestellt wird. Sehe ich wie heutzutage unsere Kinder und Jugendlichen wie selbstverständlich mediale Inhalte in einer Dauerschleife konsumieren, kann ich mir vorstellen, dass der „Filter“ an seine Belastungsgrenzen herangeführt wird. Darüber hinaus findet die sensorische und mentale Belastung in der schönen neuen Spielewelt kein entsprechendes motorisches Äquivalent.  Kinder haben Übergewicht und sind motorisch zurückgeblieben.

Führt diese Reizüberflutung zu ADHS?

  1. Ein pädagogischer Ansatz

70 % Prozent der Frauen sind mittlerweile in Deutschland berufstätig. Viele Elternteile sind alleinerziehend. Neben den vielfältigen Rollen, die ein Erwachsener mittlerweile bespielen können muss, bleibt dabei wenig Zeit für das Kind. Alleingelassen wenden sich die meisten Kinder und Jugendlichen der Spielekonsole, dem Smartphone oder dem PC zu. Vordergründig sind die Kinder erst einmal ruhiggestellt.  Dass die meisten Spiele so aufgebaut sind, dass sie einen Belohnungswert eingepflegt haben, der abhängig machen kann, wird von den Programmierern dieser Spiele nicht kritisch genug betrachtet. Belohnung führt im ZNS zur Ausschüttung von Glückshormonen und schon ist der Spieler bemüht das nächste Level zu erreichen, um wieder dieses Glücksgefühl zu haben. Die Zeiten vor der Spielkonsole, Handy werden immer länger. Bemerken die Eltern dann, dass ihr Kind immer zappeliger, nervöser und unmotivierter wird, wenn es um Pflichterfüllung geht, führt der Weg zum Kinderarzt. Eine erste Verdachtsdiagnose auf ADHS führt zur ersten Medikamenteneinnahme und siehe da, das Kind wird ruhiger. Die meisten Eltern sind beruhigt, denn es ist ja eine materielle, organische Ursache, die mit Medikamenten behoben werden kann.

Eine andere Vorgehensweise wäre besser, oder?

Was könnte ADHS/ADS verhindern?

  • Mehr Quality-time mit dem Kind?
  • Mehr Spiele, bei denen die gesamte Motorik gefordert wird?
  • Mehr Bewegung, ganz allgemein?
  • Entschleunigung des Alltags, wenn möglich?
  • Drastische Beschränkung des Medienkonsums?

Gibt es wissenschaftliche Studien mit ausreichend großen Vergleichsgruppen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen? Und wenn ja, mit welchem Ergebnis?